Scheuer: Österreich sozial und spirituell mitgestalten
Die Kirche ist beispielsweise im Bereich des Sozialen und der Bildung eine bedeutende Kraft in der Gesellschaft, auch wenn dies in der Öffentlichkeit nicht immer entsprechend wahrgenommen wird. Das betont der Linzer Bischof Manfred Scheuer in einem Interview im aktuell erschienenen Jahresbericht 2023 der Stadtdiakonie Linz. "Im Grunde genommen ist es so, dass eine politische Stimme der Kirchen meistens dann rezipiert wird oder etwas weiter vorne in den Schlagzeilen zu finden ist, wenn sie eine Partei konkret kritisch angreift, aber nicht, wenn man versucht, Spiritualität zu vermitteln", so Scheuer wörtlich. Trotzdem sei die Vermittlung von Spiritualität die Kernaufgabe der Kirche.
Zudem gelte es, exemplarisch zu handeln und etwas beispielhaft so zu realisieren, "dass andere davon angesteckt werden, mitgenommen werden", sagte Scheuer. Anlass für das Interview, das der Linzer Bischof gemeinsam mit dem oberösterreichischen evangelischen Superintendenten Gerold Lehner bestritt, war das 20-Jahr-Jubiläum des Ökumenischen Sozialworts der Kirchen in Österreich.
Auf die exemplarische Rolle der Kirchen kam auch Superintendent Lehner zu sprechen: "Es hat Gemeinden gegeben, die haben wirklich 20 oder 30 Menschen aus der Ukraine aufgenommen. Da wird exemplarisch etwas sichtbar. Das kann ich nicht von allen verlangen oder erwarten, aber meine Hoffnung ist, dass diese soziale Dimension des Evangeliums in ganz verschiedenen Bereichen sichtbar wird." Er sage seinen Pfarrgemeinden immer: "Ihr werdet nicht alles können, aber macht das, was ihr macht, wirklich gut, dass da diese Qualität sichtbar wird."
Und ganz generell: "Wir werden die Probleme der Grundsicherung eines Sozialstaates nicht lösen, aber wir haben eine Stimme, auch wenn sie, das ist glaube ich auch eine Entwicklung, in diesen 20 Jahren zunehmend marginalisiert wurde."
Für ihn sei entscheidend, so Lehner, "dass die Rede von der Menschenwürde theologisch eine völlig andere Qualität als das hat, was im politischen oder gesellschaftlichen Diskurs geredet wird. Dort redet man zwar von der Menschenwürde, aber man geht sehr schnell von der Menschenwürde ab, wenn man irgendwelche anderen Interessen hat."
Theologisch heiße es, "die Menschenwürde des Menschen besteht gar nicht in ihm. Die besteht darin, dass Gott ihn würdigt". Diese fremde Würde sei unzerstörbar, "weil sie eben nicht in mir zerstört werden kann. Das könnten wir einbringen."
Debatte um Grundeinkommen
Die soziale Landschaft habe sich in den letzten 30 bis 40 Jahren massiv verändert, sagte Bischof Scheuer im Interview. Das betreffe auch die Rolle des Sozialstaates. Der Sozialstaat werde im Sozialwort zu recht stark gemacht, und "es gibt auch gar keine wirkliche Alternative", zeigt sich Scheuer überzeugt. Zugleich sei die Frage, wie Recht und Pflicht ineinander greifen, nicht immer leicht zu klären.
Scheuer kam in diesem Zusammenhang auch auf die Debatte über ein bedingungsloses Grundeinkommen zu sprechen. Er habe schon mehrfach Diskussionen über das Grundeinkommen geführt. In Linz gebe es beispielsweise auch einen Verein für Grundeinkommen. "Dieser Verein rechnet das genau aus, dass sich das eigentlich gut ausgeht. Aber wenn ich mit Arbeiterkammer, Gewerkschaft oder auch mit Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung rede, dann geht sich das gar nicht aus."
Es sei wichtig, "dass es so eine Art Grundversorgung geben muss, also dass niemand an grundlegenden Bedürfnissen Mangel leiden darf. Das andere ist das gute Leben oder auch das Glück, darum geht es ja auch." Zum guten Leben gehört auch, "dass ich selber meine Charismen, meine Begabungen, vielleicht sogar auch meine Berufung einbringe". Menschenwürdige Arbeit heiße auch, "dass ich im guten Sinn stolz sein kann auf meine Arbeit". Freilich nicht in dem Sinn, dass ich nichts bin, wenn ich nichts arbeiten kann".
Die Frage, wer eigentlich zuständig ist für Gemeinwohl und Sozialformen, die etwa ein solidarisches Leben ermöglichen, sei jedenfalls aktuell wie eh und je: "Ist das die Familie? Sind das NGOs? Ist das allein oder ausschließlich die Politik?"
Das am 1. Adventsonntag 2003 veröffentlichte "Sozialwort" des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) wurde von allen damals 14 ÖRKÖ-Mitgliedskirchen unterzeichnet - inzwischen sind es 17. Es war als "Kompass" für die Kirchen und die Gesellschaft gedacht und war in Themenblöcke wie Bildung, Zusammenhalt, Wirtschaft sowie Nachhaltigkeit gegliedert.