Orthodoxer Theologe Larentzakis: Ungebrochene Aktualität des "Sozialworts"
Die ungebrochene Aktualität des ökumenischen "Sozialworts" hat der orthodoxe Theologe Prof. Grigorios Larentzakis betont. In einem ausführlichen Beitrag zum "Sozialwort" aus orthodoxer Sicht weist Larentzakis auf verschiedenen dringliche Themenfelder hin, die bereits vor 20 Jahren im "Sozialwort" angesprochen wurden, aber immer noch einer engagierten Umsetzung bedürften. Das betrifft etwa den gesamten Bereich der Schöpfungsverantwortung bzw. des Klimaschutzes, ebenso aber auch den notwendigen Einsatz der Kirchen für Gerechtigkeit und Friede.
Im Blick auf den Ukraine-Krieg übt der Theologe einmal mehr harsche Kritik an der Position des Moskauer Patriarchen Kyrill und all jenen orthodoxen Kirchen, die Kyrill nicht offen für dessen Positionierung kritisieren.
Larentzakis konstatiert zudem eine generelle "Überökonomisierung der Gesellschaft", was zu einer Reihe von Folgeproblemen führt. Eine Lanze bricht der orthodoxe Theologe für die gemeinsame Sonn- und Feiertagsruhe. In wichtigen Bereichen wie der Migration sieht der Theologe auch die EU besonders gefordert. Das "Sozialwort" versteht Larentzakis als "Kompass" und dynamischen Prozess, der wegen der vielfältigen neuen Entwicklungen weitergeführt werden muss, allerdings nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten.
Der Mensch erweise sich zunehmend als "unersättlicher, habgieriger Besitzer der Welt". Er müsse sich aber vielmehr als Verwalter verstehen und danach handeln. Das ursprüngliche Wesen der Wirtschaft sei ein gerechtes Erarbeiten und Verteilen des Reichtums, damit alle Bewohner des Hauses, d.h. alle Menschen richtig leben können. Das fast ausschließliche Ziel der heutigen Wirtschaft - die Maximierung des Profits um jeden Preis - widerspreche dem Wesen der Wirtschaft. Und genau das werde schon im Sozialwort zur Sprache gebracht. Daher seien die Aufforderungen des "Sozialwortes" - "Verantwortungsbewusst wirtschaften" und "Einsatz für den sozialen Zusammenhalt" - nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für den Staat immens bedeutungsvoll, so Larentzakis.
Sonn- und Feiertage nicht der Wirtschaft opfern
Ausdrücklich hebt der orthodoxe Theologe auch die Bedeutung des Sonntags und der religiösen Feiertage hervor und warnt davor, diese zugunsten der Wirtschaft zu "opfern". Diese Feiertage seien nicht nur Ruhetage, Tage ohne Erwerbstätigkeit, auch nicht nur Gedenktage zur Erinnerung an konkrete Personen (Heilige), "sondern sie sind auch Tage des Innehaltens, der Besinnung, Tage für die geistig-geistliche Dimension des Menschen, die sein Wesen überhaupt bestimmt".
Diese Tage müssten deshalb als ein wichtiges Gut der Menschen geschützt werden. Larentzakis: "Es geht um das Wesen und die Würde des Menschen, die nicht, im wahrsten Sinn des Wortes, verkauft werden dürfen." Deshalb fordere auch das Sozialwort: "Von besonderer Bedeutung ist der freie Sonntag als ein wertvolles Gut der ganzen Gesellschaft, für dessen Erhalt sich die Kirchen gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Kräften einsetzen."
Dienste, die für das Wohl aller unverzichtbar sind, müssten freilich auch an Sonn- und Feiertagen geleistet werden. "Jene Menschen, die dies für die anderen auf sich nehmen, verdienen besonderen Respekt", zitiert der Theologe aus dem "Sozialwort". Auch hier zeige das "Sozialwort", "dass es in unserer Gesellschaft eine konkrete Realität mit verschiedenen Verpflichtungen gibt, die zur Kenntnis genommen, respektiert werden müssen".
"Gerechtigkeit und Frieden"
Ausführlich geht Larentzakis auf den Themenkomplex "Gerechtigkeit und Frieden" ein: "Die Schaffung und Erhaltung des Friedens tun jetzt Not mehr denn je!" Und: "Die Brutalität der erneuten kriegerischen, blutigen Auseinandersetzungen im Nahen Osten zwischen Israel und der Hamas schreit danach. Auch die christlichen Kirchen befinden sich im dringenden Zugzwang für friedensstiftenden Handlungen. Die Zeit drängt!"
Der orthodoxe Theologe verweist zudem auch auf die orthodoxe Position, wie sie in einem Dokument des Panorthodoxen Konzils von Kreta (2016) folgendermaßen formuliert ist: "Die Kirche Christi betrachtet prinzipiell den Krieg als Folge des Bösen und der Sünde in der Welt und unterstützt jede Initiative und Anstrengung zu seiner Verhütung und Abwendung durch Dialog und jedes andere geeignete Mittel. Im Fall, dass der Krieg unvermeidbar ist, wirkt die Kirche durch Gebet und Seelsorge für Ihre Gläubigen, die in kriegerische Handlungen zur Verteidigung ihres Lebens und ihrer Freiheit verstrickt sind, und unternimmt alles zur schnellstmöglichen Wiederherstellung des Friedens und der Freiheit."
Das Panorthodoxe Konzil verurteile jedoch ganz klar den Krieg in konkreten Fällen: "Die Orthodoxe Kirche verurteilt entschieden die diversen Konflikte und die Kriege, die aus religiösem Fanatismus entfacht werden. (...) Auch werden die Kriege verurteilt, die aus Nationalismus entfacht werden und zu ethnischen Säuberungen, zu Grenzveränderungen und zu territorialen Besetzungen führen."
Es sei klar, dass damit der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine inklusive der fatalen Unterstützung des russischen Patriarchen "verurteilt werden muss". Es sei nicht verständlich, so Larentzakis, "warum nicht alle Orthodoxen Autokephalen Kirchen dieser Position des Panorthodoxen Konzils, die die gesamtorthodoxe Auffassung zum Ausdruck bringt, Folge leisten und nicht demgemäß handeln, obwohl die meisten von ihnen diese Position mitbeschlossen haben".
Der orthodoxe Theologe hält weiter fest: "Ein Friede ist jedoch ohne Gerechtigkeit nicht möglich." Schon das Sozialwort habe festgehalten, dass die Ungleichheit zwischen Staaten und Kontinenten größer geworden sei. Das hänge sicherlich zusammen mit der Globalisierung von Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie, die immer mehr und in vielen Bereichen des menschlichen Lebens einen starken Einfluss nimmt, mit der Schaffung von Ungleichheiten und sozialen Problemen.
Larentzakis: "Bei diesen Entwicklungen mit neuen Problemen müssen die Kirchen in ökumenischer Verantwortung auch gemeinsame Antworten finden, damit Gerechtigkeit und soziale Ordnung erreicht werden können." Der Theologe zitiert aus dem "Sozialwort": "Die notwendige Grundlage für weltweite Gerechtigkeit bildet eine aufeinander abgestimmte Handels-, Finanz- und Sozialpolitik, welche einer nachhaltigen Entwicklung und der Beseitigung von Armut den Vorrang einräumt."
Wie aktuell und prophetisch das "Sozialwort" schon vor 20 Jahren war, zeige sich nicht zuletzt auch im Bereich der Schöpfungsverantwortung. "Die schrecklichen Erfahrungen, die wir jetzt überall machen, auch in Österreich und in Griechenland mit den Phänomenen von Naturkatastrophen, die Jahrhunderte lang nicht passiert sind, sprechen eine mehr als deutliche Sprache", so Larentzakis.
Umdenken gefordert
Die Verantwortlichen für die katastrophale Situation der Schöpfung würden schon im "Sozialwort" beim Namen genannt, so der Theologe, der aus dem Dokument zitiert: "Das weltweite Konsum- und Produktionsvolumen liegt heute bereits über dem, was die Erde ökologisch verkraften kann. Dies bedeutet, dass die Menschheit das natürliche Kapital des Planeten schon in beträchtlichem Ausmaß aufbraucht. Der Treibhausgas-Ausstoß steigt weltweit - auch in Österreich - trotz der übernommenen Verpflichtung zur Reduktion. Die Folgen sind Gesundheitsgefährdungen für die Menschen, Umweltschäden, Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. Der Zugang zu sauberem Trinkwasser wird immer mehr zum Problem. Naturkatastrophen, sowohl Dürre als auch Überschwemmungen, gehen weltweit Hand in Hand mit der Zerstörung von Wäldern und Klimaveränderungen." Das "Sozialwort" fordere einen vielschichtigen Umdenkprozess in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und in den Kirchen. All die aktuellen Probleme würden auch das Leben der folgenden Generationen gefährden, warnt der Theologe.
EU bei Migration gefordert
Larentzakis verweist in seinen Ausführungen u.a. auch auf das Thema Migration. Schon das "Sozialwort" habe deutlich gemacht, dass Migranten vielfach ausgebeutet würden, "wie eine Sache, die man beliebig einsetzen und austauschen kann." Es sei zu hoffen, dass in diesem Punkt "die laufenden Diskussionen und Verhandlungen innerhalb der Europäischen Union positive Ergebnisse bringen".
Das Fazit des Theologen: Das "Sozialwort" habe in Österreich eine wichtige, realistische und umsetzbare Basis geschaffen, die auch für heute und für andere Länder in Europa vorbildhaft wirken kann, wenn wir es mit unserer ökumenischen Arbeit auch bei uns ernst meinen.
Zu Recht schließe das "Sozialwort" allerdings mit der Aufforderung, dass es nicht bei Worten bleiben dürfe. Entscheidend seien die Taten. Es gebe keine "Dokumenten-Not", sondern eine "Rezeptions- und Umsetzungs-Not". Letztlich gebe es zum gemeinsamen Einsatz der Kirchen auch keine Alternative, zeigt sich Larentzakis überzeugt.
>> Der ausführliche Beitrag von Prof. Larentzakis zum Download (pdf)