Altbischof Bünker: "Europa ist ein Hoffnungsprojekt"
Ein Plädoyer für Europa hat der lutherische Altbischof Michael Bünker abgelegt. "Europa sieht nicht zurück, sondern nach vorne! Es ist ein Zukunftsprojekt, ein Hoffnungsprojekt", sagte er in seiner Gastpredigt am Sonntag in der methodistischen Kirche in Wien. Nostalgische Vorstellungen eines vergangenen, angeblich heilen christlichen Abendlandes wies Bünker zugleich zurück: "Das hat es ja wahrscheinlich nie gegeben." Bünkers Gastpredigt fand im Rahmen des vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) initiierten Projekts "Sozialwort 20+" statt. Dem Gottesdienst stand der methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs vor.
Vor 20 Jahren, am 1. Adventsonntag 2003, veröffentlichte der ÖRKÖ das gemeinsam erarbeitete "Sozialwort". Es wurde von allen damaligen ÖRKÖ-Mitgliedskirchen unterzeichnet. Jetzt soll das "Sozialwort" mit der Impuls-Reihe "Sozialwort 20+" fortgeschrieben werden. In Gottesdiensten in ganz Österreich geben Gäste aus jeweils anderen Kirchen kurze aktuelle Impulse zu wesentlichen Themen des "Sozialworts" bzw. greifen auch neue Themen auf, die vor 20 Jahren noch nicht im Fokus standen.
>>Die Predigt von Bischof Bünker im Wortlaut zum DOWNLOAD
Wie Altbischof Bünker in seiner Predigt ausführte, sei im "Sozialwort" der Kirchen aus dem Jahr 2003 ein Kapitel den Lebensräumen gewidmet. Der erste Lebensraum, der genannt wird, sei der ländliche Raum, der zweite die Stadt. Der dritte sei nun aber nicht, wie man vermuten könnte, der Staat, sondern Europa und die Regionen. Überraschend sei das aber eigentlich nicht, so Bünker, "denn die Kirchen haben die europäische Integration von Anfang an sehr aktiv unterstützt. Sie haben immer gewusst, dass sie zusammengehören."
"Charta Oecumenica"
Bünker verwies zudem auf die "Charta Oecumenica" der Kirchen in Europa aus dem Jahr 2001. Darin enthalten sei ein Kapitel mit dem Titel: "Unsere gemeinsame Verantwortung für Europa". Vieles lese sich da wie aus dem Vertrag von Lissabon und den Grunddokumenten der EU, die Jahre später beschlossen wurden. Bünker zitierte in seiner Predigt aus der Charta: "Die Kirchen fördern eine Einigung des europäischen Kontinents. Ohne gemeinsame Werte ist die Einheit dauerhaft nicht zu erreichen. Wir sind überzeugt, dass das spirituelle Erbe des Christentums eine inspirierende Kraft zur Bereicherung Europas darstellt."
Und weiter: "Aufgrund unseres christlichen Glaubens setzen wir uns für ein humanes und soziales Europa ein, in dem die Menschenrechte und Grundwerte des Friedens, der Gerechtigkeit, der Freiheit, der Toleranz, der Partizipation und der Solidarität zur Geltung kommen. Wir betonen die Ehrfurcht vor dem Leben, den Wert von Ehe und Familie, den vorrangigen Einsatz für die Armen, die Bereitschaft zur Vergebung und in allem die Barmherzigkeit."
Frieden und Wohlstand
Nach Jahrhunderten der Kriege hätten "wachsame und mutige Menschen" im Mai 1949 den Europarat gegründet, "die ehemaligen Feinde saßen miteinander am Tisch", blickte der Altbischof in seiner Predigt zudem zurück in die Geschichte. Ein Jahr später sei die Europäische Erklärung der Menschenrechte beschlossen worden und die wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde aufgenommen, aus der dann später die EU werden sollte. Bünker: "Es waren vom christlichen Glauben geprägte Menschen, die aus der Not heraus vor 70 Jahren ein neues Europa andachten. Robert Schumann, Konrad Adenauer, Alcide de Gasperi und viele andere. So begann Europa zu wachsen, aus vielen kleinen Ideen, aus Träumen und Sehnsüchten."
Daraus sei die längste Friedenszeit in der Geschichte Europas geworden, "und davon leben wir heute noch", so der Altbischof: "Frieden und wirtschaftlicher Wohlstand, wenigstens mit möglichst geringer Ungleichheit. Nicht den Albtraum fortzusetzen, sondern das Gute bewahren und fördern. Die Demokratie, der wissenschaftlich-technische Fortschritt, die Idee der Menschenrechte, Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit, Solidarität, ein respektvolles Zusammenleben in aller Pluralität, die Europa kennzeichnet."
Jammern auf hohem Niveau
Friede und Wohlstand seien allerdings brüchig geworden, ging Bünker auch auf aktuelle Entwicklungen ein: "Im früheren Jugoslawien brach der Krieg aus und jetzt tobt er in der Ukraine, beinahe vergessen das Flüchtlingselend in Berg-Karabach, völlig erschütternd der Terrorangriff der Hamas auf Israel. Das Leiden der Zivilbevölkerung in Gaza. Das erschreckende Ansteigen des Antisemitismus auf der ganzen Welt und hier bei uns." Im globalen Wettstreit stehe Europa zudem nicht immer gut da. Die drohende Klimakatastrophe werde überdies alles noch viel schlimmer machen. Nachsatz: "Viel schlimmer."
Trotzdem sei dies verglichen mit anderen Regionen immer noch Jammern auf hohem Niveau. Aber unser Wohlstand, er geht doch auf Kosten anderer, auf Kosten der Menschen im Süden, auf Kosten der uns nachfolgenden Generationen, unserer Kinder und Enkelkinder, auf Kosten unserer Mitgeschöpfe, ja auf Kosten von allem Mitgeschaffenen insgesamt. Hier sei dringend Umkehr notwendig, so Altbischof Bünker.
Ökumenisches Sozialwort
Das "Sozialwort" war vor seiner Veröffentlichung 2003 in einem vierjährigen Prozess mit mehr als 1.000 Einzelpersonen, gut 100 Organisationen und einem Team der Katholischen Sozialakademie erstellt worden. Es war als "Kompass" für die Kirchen und die Gesellschaft gedacht. Die großen Themenblöcke waren Bildung, Medien, Sozialer Zusammenhalt, Lebensräume Land/Stadt/Europa, Arbeit, Wirtschaft, Soziale Sicherheit, Frieden, Gerechtigkeit sowie Schöpfungsverantwortung und Nachhaltigkeit.
Rund zehn Jahre später wurden die Impulse des "Sozialworts" aufgegriffen und weiterentwickelt. Dazu wurde der einjährige Prozess "Sozialwort 10+" begonnen, der wieder federführend von der Sozialakademie durchgeführt wurde. Ergebnis war die Broschüre "Solidarische Gemeinde", wo es zu den Themenfeldern Existenzsicherung, Flüchtlinge, Bettler, Alleinerziehende, Arbeitslosigkeit, Krankheit, Pflege, Kinder, Bildung, Behinderte und Schulden u.a. auch konkrete Praxistipps gab.
Das aktuelle Projekt "Sozialwort 20+" ist zumindest bis zur Gebetswoche für die Einheit der Christen (18. bis 25. Jänner 2024) anberaumt. Die Impulse werden dokumentiert bzw. aufgezeichnet und sind im Anschluss auch über die Website des ÖRKÖ (www.oekumene.at) abrufbar. Die gesammelten Impulse sollen abschließend in einer Broschüre gemeinsam mit einigen begleitenden Aufsätzen von Theologinnen und Theologen und anderen Expertinnen und Experten veröffentlicht werden.