ÖRKÖ-Vollversammlung im Zeichen internationaler Konflikte
Die dramatische Situation in Israel und Palästina und die damit in Zusammenhang stehenden zunehmenden antisemitischen Vorfälle in Österreich waren ein zentraler inhaltlicher Schwerpunkt der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) am Donnerstag, 19. Oktober, in Wien. Die Delegierten der Kirchen informierten sich und diskutierten zudem über die Lage in Armenien und Berg-Karabach bzw. über die kirchlichen Implikationen des Ukraine-Krieges. Die Vollversammlung fand in den Räumlichkeiten der serbisch-orthodoxen Diözese von Österreich in der Veithgasse statt.
Zur Eskalation der Gewalt im Nahen Osten und dem zunehmenden Antisemitismus in Österreich verabschiedete die ÖRKÖ-Vollversammlung eine Erklärung.
Tiefe Betroffenheit löste unter den Delegierten zur Vollversammlung der Bericht von Bischof Tiran Petrosyan über die Lage in Armenien bzw. Berg-Karabach (Artsach) aus. Artsach existiere praktisch nicht mehr, so der Bischof, der erst vor wenigen Tagen von einem mehrwöchigen Aufenthalt in Armenien zurückgekehrt ist. Alle rund 100.000 Armenier hätten ihre Heimat verlassen und seien nach Armenien geflohen. Der Bischof berichtete vom jüngsten Angriff Aserbaidschans auf die armenische Enklave, von hunderten toten Armeniern und Tausenden, die noch vermisst seien. Tief enttäuscht zeigte sich Bischof Petrosyan von der internationalen Staatengemeinschaft, der Gas aus Aserbaidschan scheinbar wichtiger sei als das Leben der armenischen Bevölkerung Artsachs. Ebenso kritisierte der Bischof aber auch die russischen "Friedenstruppen", die eigentlich die Sicherheit der Bevölkerung Artsachs hätten garantieren sollen. Doch in der Realität hätten sie mit Aserbaidschan kooperiert.
Er hoffe sehr, so Petrosyan, dass die internationale Gemeinschaft jetzt wenigstens nicht zulasse, dass Aserbaidschan auch noch den Süden Armeniens angreife und erobere, um eine Landverbindung zu Nachitschewan und damit zur Türkei herzustellen.
Bewegt zeigte sich der Bischof von der Hilfsbereitschaft in Armenien. Sowohl die staatlichen Stellen als auch die Bevölkerung hätten die 100.000 Geflüchteten aufgenommen und versorgt. An eine Rückkehr der Menschen nach Berg-Karabach glaube er nicht. Sie wären dort ihres Lebens nicht sicher.
Ebenso düster war das Bild, das der Bischof im Blick auf das kirchliche bzw. kulturelle armenische Erbe in Berg-Karabach zeichnete. Es sei zu befürchten, dass Aserbaidschan die Kirchen, Klöster oder Friedhöfe zerstören werde.
Konferenz Europäischer Kirchen
Die ÖRKÖ-Delegierten befassten sich zudem mit der letzten Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen in Tallinn/Estland, die auch stark vom Ukraine-krieg geprägt war. Die KEK hat die Initiative "Pathways to Peace" ins Leben gerufen. Damit will sie mit verschiedenen Veranstaltungen und Projekten Synergien zwischen Kirchen und Partnern stärken. Zudem soll das Projekt die ökumenische Vision eines gerechten Friedens stärken, den Austausch zwischen europäischen Kirchen erleichtern und die Stimmen der ukrainischen Kirchen in der ökumenischen Debatte fördern. Vor Kurzem wurde die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) offiziell als neues KEK-Mitglied aufgenommen.
Impuls-Reihe "Sozialwort 20+"
Ein weiteres Thema der Vollversammlung war u.a. die Impuls-Reihe "Sozialwort 20+". Vor 20 Jahren haben die Kirchen in Österreich mit dem "Sozialwort" ein wegweisendes ökumenisches Dokument veröffentlicht, das den gesellschaftspolitischen Auftrag der Kirchen auf der Basis des gemeinsamen Glaubens deutlich machte. 20 Jahre später soll das Sozialwort mit neuen Impulsen fortgeschrieben werden. Dazu startet der ÖRKÖ die Impuls-Reihe "Sozialwort 20+".
In Gottesdiensten in ganz Österreich sollen Gäste aus jeweils anderen Kirchen kurze aktuelle Impulse zu wesentlichen Themen des "Sozialworts" geben bzw. auch bisher noch fehlende aktuelle Themen aufgreifen. Der Auftakt fand am Sonntag, 24. September, in der evangelischen Christuskirche in Innsbruck statt, wo der katholische Theologe Prof. Wilhelm Guggenberger wird zum Thema "Schöpfung" sprechen. Den nächsten Impuls gibt es am Donnerstag, 31. Oktober, dem Reformationstag, der Direktor der Katholischen Sozialakademie, Markus Schlagnitweit, in der Linzer evangelischen Martin-Luther-Kirche zum Themenbereich "Wirtschaft".
Das Projekt ist zumindest bis zur Gebetswoche für die Einheit der Christen (18. bis 25. Jänner 2024) anberaumt. Die gesammelten Impulse sollen abschließend in einer Broschüre gemeinsam mit einigen begleitenden Aufsätzen von Theologinnen und Theologen und anderen Expertinnen und Experten veröffentlicht werden.
Wechsel im Vorstand, Gedenken an verstorbene ÖRKÖ-Mitglieder
Eine personelle Veränderung gab es im Vorstand des ÖRKÖ. Der anglikanische Kanonikus Patrick Curran schied aus, zu seiner Nachfolgerin wurde die neue altkatholische Bischöfin in Österreich, Maria Kubin, gewählt.
Die Delegierten gedachten bei der Vollversammlung weiters der zuletzt verstorbenen Erika Tuppy und Pfarrer Ernst Kreuzeder. Tuppy vertrat viele Jahre die Reformierte Kirche im ÖRKÖ. Bis zu ihrem Tod am 22. April gehörte sie als Delegierte der Vollversammlung an. Pfarrer Ernst Kreuzeder war am 25. September verstorben. Der altkatholische Geistliche war von 1968 bis 1972 und von 1986 bis 1990 ÖRKÖ-Vorsitzender.