Resolution zur „Situation der Christen im Nahen Osten“
Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich ist solidarisch mit den in ihrem Lebensrecht bedrohten Christen des Nahen Ostens. Die Terrormiliz des sogenannten ‚Islamischen Staates‘ und andere extremistische Gruppierungen haben im Irak und in Syrien ungeheures Leid über Christen und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften gebracht. Die Welt darf nicht schweigen, wenn Menschen wegen ihrer religiösen Überzeugung und ihrer Treue zum Glauben von gewissenlosen Extremisten auf abscheuliche Weise zu Tode gebracht, ihrer Habe beraubt und aus ihrer angestammten Heimat vertrieben werden. Die Aggression der fundamentalistischen Ideologie, die permanente Verletzung der primären Menschenrechte – des Rechtes auf Leben, des Rechtes auf Unverletzlichkeit der Person, des Rechtes auf Religions- und Gewissensfreiheit - darf nicht hingenommen werden. Es muss zugleich ein gemeinsames Anliegen aller an den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs Glaubenden sein, die ungeheure Gotteslästerung der Extremisten zurückzuweisen, die vorgeben, Mord und Totschlag im Namen des Schöpfers zu begehen.
Für die Kirchen sind die Vorgänge im Nahen Osten besonders schmerzlich, weil sie das Ursprungsland des Christentums betreffen. Die Bibel, die Theologie, die Liturgie, die Frömmigkeit, die christliche Kultur und Kunst haben ihren Ursprung in den Ländern des Orients. Die dort lebenden Christen bezeugen bis heute die Tradition des ursprünglichen Christentums. Die Zerstörung dieses Erbes würde einen ungeheuren Verlust für die ganze Menschheit bedeuten.
Die internationale Gemeinschaft ist gefordert, für den nahöstlichen Raum Friedenslösungen durchzusetzen, die von gleichen Rechten für alle Bürgerinnen und Bürger ausgehen. Nur eine Gesellschaft, die Gleichberechtigung für alle – unabhängig von religiöser oder ethnischer Zugehörigkeit – garantiert, kann die Wunden heilen, die in jüngster Zeit in diesem Raum verursacht worden sind. Für die Kirchen des Nahen Ostens ist das Geschehen umso ungeheuerlicher, als 2015 das 100-Jahr-Gedenken des Beginns der Ausrottungskampagne gegen die christlichen Bürgerinnen und Bürger in den anatolischen Gebieten des damaligen Osmanischen Reiches – in unmittelbarer Nachbarschaft der jetzt betroffenen Länder – fällig ist. Auch damals sind – ohne dass die internationale Gemeinschaft entschlossen eingegriffen hätte - Millionen Menschen ermordet oder vertrieben worden, hunderte Klöster und tausende Kirchen wurden zerstört.
Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich hofft, dass die religiösen Führungspersönlichkeiten des Islams mit größerer Entschlossenheit und Deutlichkeit die Umtriebe der Extremisten anprangern und ihre Gläubigen zum Respekt vor und zum geschwisterlichen Miteinander mit Christen und Bekennern anderer Religionsgemeinschaften einladen. Hoffnungszeichen in diesem Zusammenhang sind die auch vom Weltkirchenrat begrüßte Zurückweisung der ideologisch begründeten Aktionen des selbsternannten ‚Kalifen‘ des sogenannten ‚Islamischen Staates‘ durch 126 muslimische Gelehrte und die Tatsache, dass der saudiarabische Außenminister Prinz Saud al-Faisal – ebenso wie die Außenminister Österreichs und Spaniens – eine gegen den islamistischen Terror gerichtete Erklärung des in Wien beheimateten ‚König Abdullah-Zentrums für Interreligiösen und Interkulturellen Dialog‘ unterzeichnet hat, in der es ohne Wenn und Aber heißt: ‚Wir bekräftigen die Ziele und Grundsätze, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert sind, insbesondere das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Diese gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft sind die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt‘.
In einer Zeit, in der Christen gerade in islamisch dominierten Ländern schwerer Verfolgung ausgesetzt sind, machen sich die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates die Worte des chaldäischen Patriarchen Mar Louis Raphael I. Sako zu eigen, der in seiner Grußbotschaft zum islamischen Opferfest folgende Worte an die Muslime richtete: ‚Wir sagen Euch, dass wir Euch lieben, weil Jesus Christus uns geboten hat, alle zu lieben‘. Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich sieht in der Erklärung „Nostra Aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils der römisch-katholischen Kirche einen wichtigen Hinweis für die Gestaltung des christlich-islamischen Verhältnisses, wenn es dort heißt, dass die Christen die Muslime mit Hochachtung betrachten, die ‚den alleinigen Gott anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den Schöpfer Himmels und der Erde‘. Auf dieser Grundlage ist ‚die Bemühung um gegenseitiges Verständnis und gemeinsames Engagement für die Förderung der sozialen Gerechtigkeit und des Friedens und der Freiheit für alle Menschen möglich.