Ökumene: 50 Jahre "Leuenberger Konkordie"
Vor 50 Jahren, am 16. März 1973, unterzeichneten lutherische, reformierte und unierte Theologen im Tagungshaus Leuenberg bei Basel die "Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa" (kurz: "Leuenberger Konkordie"). Das Dokument ist die Grundlage für die "Leuenberger Kirchengemeinschaft", die heute als "Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa" (GEKE) bekannt ist. Die GEKE, die ihren Sitz in Wien hat, umfasst aktuell 94 Mitgliedskirchen und repräsentiert rund 50 Millionen Protestanten in Europa und Südamerika. Über viele Jahre leitete der frühere heimische lutherische Bischof Michael Bünker die GEKE als Generalsekretär.
Seit 1973 ist es den Protestanten möglich, gemeinsam das Abendmahl zu feiern und volle Kirchengemeinschaft zu praktizieren. Die einzelnen Kirchen mit ihrer besonderen konfessionellen Identität und Bekenntnistradition bleiben allerdings bestehen. Sie gehen nicht in einer protestantischen Einheitskirche auf, sie erkennen aber gegenseitig die Ordination ins Pfarramt an, sodass etwa eine lutherische Pfarrerin in einer reformierten Gemeinde oder ein reformierter Pfarrer in einer lutherischen Gemeinde tätig sein kann, ohne deshalb von der einen in die andere Kirche übertreten zu müssen. In Österreich gehören der GEKE die Evangelische Kirche A.B., die Evangelische Kirche H.B. und die Evangelisch-Methodistische Kirche an.
Der frühere GEKE-Generalsekretär und lutherische Bischof Michael Bünker bezeichnete die GEKE bei einem Gottesdienst in Perchtoldsdorf als "geniales Modell", um mit Unterschieden umzugehen. Diese, so Bünker, würden nicht mehr als trennend erlebt, sondern "eröffnen einen Korridor der Vielfalt, die bereichert".
Dieses Modell könnte auch in die Gesellschaft wirken, zeigt sich Bünker laut einem Bericht des Evangelischen Pressedienstes überzeugt. So würden etwa unterschiedliche Positionen zu Themen wie Impfungen, Masken oder Lockdowns nicht mehr als spaltend erlebt, wenn dahinter ein gemeinsames Anliegen steht, wie in diesem Fall die Gesundheit möglichst vieler Menschen. "Entscheidend ist die Frage, ob alles, was uns unterscheidet, auch trennend ist", erklärte Bünker im Gottesdienst. Das evangelische Ökumene-Modell, wie es 1973 auf dem Leuenberg entstanden ist, sei "ein Modell, das sich realisieren lässt und auf den Boden kommt", so der frühere GEKE-Generalsekretär und lutherische Bischof.
Körtner: "Ökumenischer Meilenstein"
Sehr positiv fällt auch die innerprotestantische Bilanz des reformierten Theologen Prof. Ulrich Körnter aus. Er bezeichnet in einem Beitrag in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" die "Leuenberger Konkordie" als "ökumenischen Meilenstein".
Man sei mit dem Modell einer "Einheit in versöhnter Verschiedenheit" inzwischen auch mit dem Vatikan im Gespräch. Rom steht diesem Modell allerdings denkbar kritisch gegenüber, bedauert der Theologe und weiter: "Auch sonst erleben wir eine Phase der ökumenischen Stagnation, zumal die Kirchen von inneren Krisen und schwindender Akzeptanz erschüttert werden. Für den europäischen Protestantismus aber lässt sich festhalten, dass Leuenberg eine Erfolgsgeschichte ist."
Aufgrund des Abendmahlsstreits der Reformatoren Martin Luther und Huldrych Zwingli hatte es über Jahrhunderte keine Abendmahlsgemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten gegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühten sich die Protestanten in mehreren langwierigen Gesprächsreihen auf deutscher und europäischer Ebene, die Spaltung zu überwinden. Dies gelang schließlich auf dem Leuenberg mit der Konkordie. In der Präambel heißt es: "Die dieser Konkordie zustimmenden lutherischen, reformierten und aus ihnen hervorgegangenen unierten Kirchen sowie die ihnen verwandten vorreformatorischen Kirchen der Waldenser und Böhmischen Brüder stellen aufgrund ihrer Lehrgespräche unter sich das gemeinsame Verständnis des Evangeliums fest, wie es nachstehend ausgeführt wird. Dieses ermöglicht ihnen, Kirchengemeinschaft zu erklären und zu verwirklichen."
Mit der Konkordie sind allerdings die unterschiedlichen Lehrmeinungen zwischen Lutheranern und Reformierten noch nicht vereinheitlicht, sie gelten nur nicht mehr als kirchentrennend ("versöhnte Verschiedenheit"). Und die Konkordie gilt nicht weltweit, sondern nur für die inzwischen 94 Mitgliedskirchen der GEKE und damit für etwa 50 Millionen Protestanten in Europa (und Südamerika). Dazu gehören auch sieben methodistische Kirchen, die nicht den Text der Konkordie unterzeichneten, sondern 1997 auf der Grundlage einer "Gemeinsamen Erklärung zur Kirchengemeinschaft" beitraten.
Allerdings haben sich noch nicht alle aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen der Konkordie angeschlossen. Und die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands, die 2012 die Frauenordination wieder abgeschafft hatte, trat 2021 aus der GEKE wieder aus.
Auch die Katholische Kirche hält das Ökumene-Modell der Konkordie so nicht für tragfähig. Kirchengemeinschaft sei für sie mehr als ein Netzwerk lokaler oder konfessioneller Kirchen, die sich gegenseitig anerkennen und Eucharistie- und Kanzelgemeinschaft pflegen, meinte etwa der frühere Präsident des Päpstlichen Einheitsrats, Kardinal Walter Kasper. Unter seinem Nachfolger, Kardinal Kurt Koch, hat immerhin ein offizieller Dialog der katholischen Kirche mit der GEKE begonnen.