Ökumene braucht interreligiöse Offenheit
Ökumene braucht nicht nur das Streben nach Einheit unter den christlichen Kirchen, sondern auch interreligiöse Offenheit: Dafür hat Kardinal Christoph Schönborn bei seinem traditionellen Ökumene-Empfang in der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen am Mittwochabend in Wien geworben. Zahlreiche Spitzen der christlichen Kirchen waren der Einladung des Wiener Erzbischofs zu dieser Begegnung gefolgt, die erstmals seit 2020 nach coronabedingter Unterbrechung wieder stattfinden konnte. Dabei ließ der Kardinal mit der Mitteilung aufhorchen, dass er von der Arabischen Liga im Februar zu einem Dialog nach Riad eingeladen worden sei. "Ich bitte euch um das Gebet für diese Begegnung", so Schönborn an die Spitzen der versammelten Ökumene.
In das Zentrum seiner Ausführungen stellte der Kardinal ein Wort von Papst Benedikt XVI. Dieser habe beim letzten Treffen des "Ratzinger-Schülerkreises" im August 2012 resümierend im Blick auf die Ökumene gesagt: "Geht es nicht letztlich darum, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen, was es heißt, heute Christ zu sein?" Diese Worte des kürzlich verstorbenen Pontifex seien "wie ein Testament von ihm", so Schönborn.
Man könne und müsse diese Worte Benedikts aber weiter denken im Blick auf die große, abrahamitische Ökumene und daher fragen: "Geht es nicht letztlich darum, aufeinander zu hören und voneinander zu lernen, was es heißt, heute Mensch zu sein?" Sich des Menschseins als fundamentale Grundlage für jeden fruchtbaren Dialog, der auch die Wahrheitsfrage einschließe, zu besinnen, sei die große Herausforderung, der sich gerade Papst Franziskus stelle, betonte der Kardinal. Ausdruck dieses Bemühens sei die sogenannte "Abu Dhabi-Erklärung" vom 4. Februar 2019. Sie trägt den Titel "Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt", und wurde vom Papst und vom sunnitischen Großimam Ahmad Al-Tayyeb unterzeichnet.
Zu den grundlegenden Voraussetzungen des Menschseins gehöre, dass "alle von einer Frau geboren wurden und einen Vater haben", hielt der Kardinal fest. Zudem teilten die abrahamitischen Religionen die fundamentale Überzeugung: "Wir haben alle ausnahmslos Ansehen in den Augen Gottes." Mit dieser Aussage nahm der Wiener Erzbischof auch Bezug auf die "bewegende Predigt und den berührenden ökumenischen Gottesdienst", der zuvor in der evangelisch-lutherischen Stadtkirche stattgefunden hatte. Vorsteherinnen der Feier waren die evangelische Oberkirchenrätin Ingrid Bachler und die evangelischen Pfarrerinnen Eva Harasta sowie Julia Schnizlein, die die Predigt hielt.
Zum Ökumenischen Empfang, der vom früheren Vorsitzenden des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Domdekan Prof. Rudolf Prokschi, moderiert wurden, war auch der griechisch-orthodoxe Metropolit und Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz, Erzbischof Arsenios (Kardamakis) gekommen. Seitens der Katholischen Kirchen waren u.a. die Wiener Weihbischöfe Franz Scharl und Stephan Turnovszky sowie der Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, anwesend. Unter den Teilnehmer war auch der neue ÖRKÖ-Vorsitzende, der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan.
Von evangelischer Seite waren der Präsident der Generalsynode, Peter Krömer, Oberkirchenrätin Bachler in Vertretung des erkrankten evangelischen Bischofs Michael Chalupka, der Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist, der reformierte Landessuperintendent Thomas Hennefeld und der evangelisch-methodistische Superintendent Stefan Schröckenfuchs da. Weiters waren der russisch-orthodoxe Bischof Aleksij Zanochkin, der koptisch-orthodoxe Bischof Anba Gabriel, der syrisch-orthodoxe Bischofsvikar Emanuel Aydin und der anglikanische Pfarrer Patrick Curran gekommen.
"Ökumene viribus unitis"
Bischof Petrosyan betonte in seiner Funktion als neuer ÖRKÖ-Vorsitzender die gute ökumenische Zusammenarbeit, die in Österreich "viribus unitis" erfolge. Vor allem in der Erzdiözese Wien werde "Toleranz und Dialog tiefsinnig und ernsthaft verstanden und gepflegt". Eine Besonderheit im internationalen Vergleich sei auch, dass "die christlichen Kirchen eine wichtige Stimme in der Gesellschaft sind". Der ÖRKÖ-Vorsitzende nützte die Gelegenheit, um dem Gastgeber zu seinem kürzlich stattgefundenem Geburtstag und zum bevorstehende "Silbernen Kardinalsjubiläum" zu gratulieren.
Im Zuge der Veranstaltung wurde auch der "Weg der Versöhnung" vorgestellt, der sich seit 25 Jahren für eine versöhnte Einheit unter Christen einsetzt. Wie deren Vorsitzender, Pastor Martin Griesfelder von der Freien Christengemeinde, ausführte, gebe es dabei ein breites christliches Spektrum: neben katholischen, evangelischen, evangelikalen, pfingstlich-charismatischen und ostkirchlichen Gläubigen, seien auch messianisch-jüdische eingebunden.
In Form von "Runden Tischen" würde man Gemeinschaft, Gebet und das theologische Gespräch pflegen. Eine Frucht der langjährigen Kontakte sei auch die staatliche Anerkennung der christlichen Freikirchen gewesen, die nicht zuletzt von der Katholischen und Evangelischen Kirche aktiv unterstützt worden sei. Einen besonderen Dank sprachen die Vertreter der Initiative dem katholischen Theologen Johannes Fichtenbauer aus, der als Diakon in der Erzdiözese Wien wirkt und ein Mitbegründer vom "Weg der Versöhnung" ist.
Abschließend berichtete Pfarrerin Harasta von der Evangelischen Kirche über die letztjährige Vollversammlung des Weltkirchenrates in Karlsruhe, an der sie als eine der beiden Delegierten aus Österreich teilgenommen hatte. Wesentliche Ergebnisse seien die einstimmig angenommenen Verurteilung Russland für den ungerechtfertigten Krieg gegen die Ukraine und die Ausrufung eine Dekade der Buße und des Einsatzes für die Schöpfung gewesen.
Zuletzt dankte der Kardinal ausdrücklich Prof. Prokschi für dessen Wirken als ÖRKÖ-Vorsitzender in den vergangenen drei Jahren, seine Expertise und das langjährige ökumenische Engagement. Die Begegnung schloss mit einem gemeinsamen Vaterunser.
"Gott, der mich sieht"
Am Beginn des ökumenischen Gottesdienstes, der unmittelbar vor dem Empfang stattgefunden hatte, verwies die Pfarrerin der evangelischen Stadtkirche auf die Geschichte des Hauses. Das Gotteshaus in der Dorotheergasse 18 ist mit 240 Jahren die älteste evangelische Kirche in Wien. Nach dem Toleranzpatent von Kaiser Joseph II. haben die Protestanten 1783 das ehemalige katholische Klarissinnenkloster erworben und zur evangelischen Kirche umgestaltet.
In der Predigt ging Pfarrerin Schnizlein auf die alttestamentliche Lesung aus dem Buch Genesis über Hagar ein. Als eine ägyptische Sklavin lebte sie in der Sippe Abrahams und gebar ihm gleichsam als Leihmutter mit Ismael einen Sohn und Erben. Durch diese biblische Geschichte werde deutlich, dass Gott eine fremde Sklavin nicht fallen lässt, sondern sie wahr nehme, ihr Ansehen geben und letztlich zur Adressatin einer Verheißung mache. Hagars Geschichte stehe stellvertretend für alle, "die übersehen werden, die am Rand stehen".
"Gott hat einen universellen Blick auf alle", betonte Schnizlein, die auf eine weitere Besonderheit in dieser biblischen Erzählung hinwies: Mit Hagar war eine Frau der erste Mensch, der in der Bibel Gott einen Namen geben durfte, indem sie zu ihm sagte: "Du bist ein Gott, der mich sieht."