Kirche und Migration: Symposion über Spannungen und Chancen
Christen mit Migrationshintergrund leben im Spannungsfeld zwischen der Prägung durch ihre Herkunftsländer, ihre spezifische konfessionelle Zugehörigkeit und den Traditionen ihrer neuen Heimat. Welche Probleme, Herausforderungen und Chancen sich dabei ergeben, beleuchtete Dienstagabend ein ökumenisches Symposion in Wien. Alexander Kraljic, Nationaldirektor der Katholischen fremdsprachigen Seelsorge in Österreich, hob in seinen Ausführungen u.a. die Brückenfunktion der anderssprachigen Gemeinden hervor. Das Symposion stand unter dem Titel "Kirche(n) in der Fremde. Beheimatung zwischen kultureller Prägung und konfessioneller Zugehörigkeit".
Kraljic fokussierte in seinem Vortrag auf die Situation in Österreich, der Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) Mario Fischer, brachte eine europäische protestantische Perspektive ein und der in München wirkende griechisch-orthodoxe Theologe Georgios Vlantis analysierte die Situation der orthodoxen Christen in Deutschland.
Die Zuwanderung von Katholiken aus außereuropäischen Ländern setzte in den späten 1960er- und 1970er-Jahren ein. Die ersten neuen Katholiken waren Studierende, Mitarbeitende internationaler Organisationen, Arbeitsmigranten, aber etwa auch Flüchtlinge, z.B. aus Nigeria oder Vietnam. In den frühen 1980er-Jahren bildeten sich die ersten muttersprachlichen Gemeinden. Inzwischen gebe es eine Vielzahl an anderssprachigen Gemeinden: Afrikanische, asiatische sowie lateinamerikanische Gemeinden, in denen die Menschen eine Beheimatung in ihrer eigenen Sprache, Kultur und Traditionen finden würden.
Mindestens eine halbe Million Katholiken in Österreich haben Migrationshintergrund, wobei laut Schätzungen zwei Drittel von ihnen in Wien und Umgebung leben. Die meisten der praktizierenden Gläubigen sind in den deutschsprachigen Ortspfarren integriert, viele jedoch auch in den sogenannten anderssprachigen Gemeinden.
Die Einschätzung, dass diese Gemeinden die Integration der Menschen in Österreich eher behindern würden, wies Kraljic zurück. Seiner Meinung nach hätten diese Gemeinden eine wichtige Brückenfunktion zwischen den neu Hinzugekommenen und Österreich.
Die rechtliche Situation der Gemeinden sei freilich oft nicht zufriedenstellend. In der Regel seien die Gruppen in katholischen Pfarren zu Gast und würden ihre Gottesdienste dann feiern, wenn die Kirchen eben frei seien. Das bringe u.a. ein gewisses "Gefälle" zwischen Pfarre und Gästen mit sich. Derzeit gebe es Überlegungen, eine neue rechtliche Form für die anderssprachigen Gemeinden zu entwickeln, so Kraljic, noch ohne Details zu nennen.
Auch die Finanzierung der Gemeinden sei ein ständiger Diskussionspunkt. Von manchen Diözesen gebe es Zuschüsse für die anderssprachigen Gemeinden, den Kirchenbeitrag könne man nicht für diese Gemeinden zweckwidmen, was auch administrativ höchst schwierig wäre.
Religiöse Beheimatung von Migranten
In die gleiche Kerbe wie Kraljic schlug auch GEKE-Generalsekretär Fischer. Die religiöse Beheimatung sei ein wichtiger Faktor, um in der Fremde eine Heimat zu finden und die eigene Kultur weiter leben zu können. "Gerade in Glaubensfragen möchte man sich in der eigenen Sprache ausdrücken, mit gewohnten Riten, Liedern und Bildern umgehen", so Fischer. Im Gottesdienst werde schließlich eine ganze Kultur tradiert. Die meisten Christinnen und Christen könnten etwa das Vaterunser nur in ihrer Muttersprache sprechen. Daher gebe es auch muttersprachliche Gemeinden.
Fischer wies darauf hin, dass der Protestantismus in Europa ein Minderheitsphänomen sei. Im Durchschnitt seien drei Prozent der europäischen Bevölkerung evangelisch. Migration werde von diesen Minderheitskirchen als ambivalent wahrgenommen, so Fischer: "Für Minderheitskirchen können geringe Änderungen in der Zusammensetzung der Gemeinden die Identität der ganzen Kirche ändern. "
Minderheitskirchen würden daher oft im Zuzug von Glaubensgeschwistern nicht die Chance des Wachstums der Kirche, sondern die Gefahr des Identitätsverlustes sehen. Fazit: "Die Eingliederung in Ortsgemeinden geschieht meist bei einzelnen Christen, die aus einem ähnlichen Kulturraum stammen. Sobald größere Zahlen aus einem anderen Sprach- und Kulturraum kommen, versuchen sie sich in einer muttersprachlichen Gemeinschaft zu organisieren."
Der GEKE-Generalsekretär machte dabei auf eine viel zu wenig beachtete Entwicklung aufmerksam: Die angestammten historischen reformatorischen Kirchen seien in so manchen Ländern längst nicht mehr die größten Kirchen reformatorischer Tradition. In Frankreich sei etwa die größte lutherische Kirche schon lange nicht mehr die Lutherische Kirche von Elsass-Lothringen, sondern die Madagassische Lutherische Kirche. Die größte reformierte Kirche sei in den meisten Ländern Europas die Presbyterian Church of Ghana. Das Verhältnis zu den einheimischen Kirchen der gleichen Konfession sei oft nicht spannungsfrei.
Zudem: Viele Migrationskirchen könnten keiner konfessionellen Familie zugeordnet werden. Sie seien postkonfessionell, pfingstlerisch oder auch afrikanische unabhängige Kirchen. Eine Besonderheit stellten auch Pfingstgemeinden mit brasilianischen Wurzeln dar. Fischer: "Seit der Mitte der 1990er konnte man feststellen, dass viele brasilianische Profifußballer, die in Europa spielten, einen brasilianischen Pastor mitbrachten, der eine Pfingstkirche gründete."
Sensibler ökumenischer Dialog
Diese Entwicklungen hätten auch Auswirkungen auf den ökumenischen Dialog. Fischer: "Wenn wir mit Migrationskirchen sprechen, geht es vor allem darum, ihnen nicht das Gefühl zu geben, dass sie nun unseren theologischen Ansprüchen genügen müssen, sondern, dass sie als Geschwister hier willkommen sind und dass wir verstehen wollen, welche Sicht sie auf verschiedene Fragen haben." Oft hätten diese Kirchen ein anderes Amtsverständnis oder Fragen zur menschlichen Sexualität seien ein Dauerbrennstoff.
Fazit Fischers: "Das Christentum ist keine homogene Volks- oder Stammesreligion. Es ist eine Weltreligion. Wenn wir uns ehrlich auf diese Wirklichkeit einlassen wollen, müssen wir uns von den Kirchen aus anderen Teilen der Welt anfragen lassen und ihnen ermöglichen, dass sie auch bei uns ihren Gläubigen eine Heimat bereiten."
Bis zu vier Millionen Orthodoxe in Deutschland
Die Situation der Orthodoxie in Deutschland skizzierte der Münchner orthodoxe Theologe Georgios Vlantis, wobei sich viele seiner grundsätzlichen Bemerkungen wohl auch auf Österreich übertragen lassen. Zurzeit würden zwischen drei und vier Millionen Menschen in Deutschland leben, die orthodox getauft wurden. Diese gehören einer Vielzahl verschiedener Jurisdiktionen an. Vlantis sprach von mehr als 900.000 Rumänen, ca. 500.000 Russen, über 400.000 Griechen und ebenso vielen Serben. Auch die überwiegende Mehrheit der einen Million ukrainischen Flüchtlinge sei orthodox und es gebe auch noch Georgier, Belarussen, Nordmazedonier, Bulgaren und arabischsprachige Orthodoxe.
Diese Zahlen würden sich freilich nicht auf die aktiven Kirchenmitglieder beziehen, die aus mehreren Gründen nicht leicht statistisch zu erfassen sind, so Vlantis. Die Zahlen würden aber die Vielfalt und Dynamik kultureller Kontexte der Orthodoxie in Deutschland erahnen. In mehreren Ländern mit überwiegend orthodoxer Bevölkerung würden sich die Kirche als die einzige Repräsentantin der nationalen Tradition stilisieren, was auch Folgen auf das Profil der "Diaspora"-Gemeinden habe. Diese würden als Begegnungsorte wahrgenommen, wo auch eine gewisse nationale, kulturelle und sprachliche Identität gepflegt wird, während der Anspruch der Verkündigung an die zweite Stelle rückt. Orthodoxe Gemeinden seien deswegen in der Regel introvertiert. Ihr pastoraler Fokus liege primär auf den Menschen aus den eigenen Herkunftsländern. Übertritte in die Orthodoxie seien in Deutschland die Ausnahme; weniger als ein Prozent der Orthodoxen seien Konvertiten.
Nationale Identitäten dominieren
Die orthodoxen Gemeinden in Deutschland verfügten über keine passenden Strukturen und keine Strategie, um Menschen aus anderen Kulturen zu integrieren, bemängelte Vlantis. Die Präsenz der jeweiligen national-kulturellen Tradition sei in der Regel dermaßen dominant, "dass jede Person, die Interesse an der Orthodoxie hat, einen sehr langen und nicht nur theologischen Weg gehen muss, wenn sie sich nicht als Gemeindemitglied zweiter Klasse fühlen möchte". Man müsse etwa die jeweilige Nationalsprache lernen und sich mit einer Nationalkultur und Geschichte vertraut machen.
Die in den Heimatländern herrschenden politischen Einstellungen beeinflussten die Ansichten ganzer Gemeinden in der Diaspora oder erklärten Spannungen, die in ihrem Inneren anzumerken sind. Die Offenheit dem Westen gegenüber merke man besonders in griechischen oder rumänischen Gemeinden, während in anderen Kontexten antiwestliche Narrative deutlich die Oberhand gewinnen. In den letzten Jahren habe man etwa Spannungen innerhalb russisch-orthodoxer Gemeinden feststellen können; einerseits zwischen ethnischen Russen und Ukrainern, andererseits zwischen Putin-Unterstützern und -Kritikern.
Ökumenisches Bewusstsein stärken
Ein Engagement für Menschenrechte, gegen Diskriminierung, für ökologisches Bewusstsein könne man in der deutschsprachigen Orthodoxie primär auf Bischofsebene feststellen, besonders in Kontexten ökumenischer Zusammenarbeit. Auf Gemeindeebene spüre man davon allerdings wenig, so Vlantis. Hier brauche es noch viele Initiativen, um das ökumenische Bewusstsein der Gläubigen zu stärken.
Die Orthodoxen müssten zudem intensiver herausgefordert werden, sich an gesellschaftlichen Diskussionen über aktuelle Themen zu beteiligen und sich dazu zu positionieren und in eine fundierte Auseinandersetzung mit der Moderne einzutreten, so der orthodoxe Theologe.
Veranstalter des Symposions war die Diözesankommission für ökumenische Fragen der Erzdiözese Wien in Kooperation mit der GEKE, der Stiftung Pro Oriente, dem Ökumene-Ausschuss des Vikariats Wien-Stadt der Erzdiözese Wien, der Initiative Christlicher Orient (ICO), der Wiener rumänisch-orthodoxen Pfarre "Hl. Antonius", dem Andreas-Petrus-Werk und der Kardinal-König-Stiftung.
Quelle: kathpress